Interview zum Thema „Schulgründung“ mit Karsten Müller

Karsten Mueller 250pxIn einem langen und anregenden Interview hat sich Claudia Matzke mit Karsten Müller unterhalten. Dabei wurde besonders das Projekt einer Schulgründung mit lutherischem Profil in den Blick genommen. Eine kürzere Fassung wurde in der LuKi-Ausgabe vom Januar 2024 veröffentlicht. Da viele interessante Fragestellungen in die gedruckte Fassung nicht mit aufgenommen werden konnten, kann hier das ganze Interview nachgelesen werden.


LuKi: Hallo Karsten, vielen Dank, dass du dich bereit erklärt hast, dieses Interview mit mir zu machen.

Karsten Müller: Sehr gerne: Ich freue mich, dass ihr die LuKi mit Personen so persönlich gestaltet. Vielen Dank für deine Anfrage!

LuKi: Bis jetzt habe ich für die LuKi nur Menschen interviewt, die hauptamtlich in der SELK arbeiten. Das trifft auf dich nicht zu. Was machst du beruflich und gibt es da auch Verbindungen zur SELK?

Karsten Müller: Tatsächlich ist es so, dass ich lange Zeit Theologie auf Pfarramt studiert hatte. Erst zum Schluss bin ich endgültig in die Pädagogik abgebogen, weil ich hier in der Schule auf die gewünschte Zielgruppe für mein berufliches Engagement traf: Kinder und Jugendliche. Natürlich finde ich diese zum Glück auch in der Kirche; das ist aber nicht vergleichbar mit den Möglichkeiten, die Schule als Schnittstelle zur gesamten Gesellschaft hat.

So bin ich in meinem ersten Leben Lehrer gewesen - für alles, was Sinn macht: Evangelische Religion und Latein (lacht). In der Funktion als Oberstudienrat konnte ich mich dann für innerschulische Fortbildungen engagieren und war für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig.
Nach 13 Jahren wurden dann die Schüler schlagartig älter (schmunzelt): Ich bin in die Erwachsenenbildung gewechselt und habe für die Landeskirchen in Hessen (EKKW und EKHN) als Studienleiter für Medienbildung Fortbildungen angeboten. Das war ein echtes Abenteuer, weil in diesem Bereich erst vieles ganz neu aufgebaut werden musste. Durch eine deutschlandweite Vernetzung habe ich viele spannende Einblicke in religiöse und digitale Bildungsprozesse gewinnen können. Mein Sabbatjahr habe ich dann genutzt, um mich im Thema “Lernen und Lehren in der digitalen Welt” weiter zu qualifizieren. Außerdem konnte ich nun als Medienpädagoge frei von dienstlichen Zwängen Anfragen als Referent oder Fortbildner bedienen (www.MEDIAinRES.de) - vielleicht waren es ein paar Engagements zu viel in einem Sabbatical, aber diese Erfahrung kommt mir jetzt zugute:
Nach neun Jahren in der kirchlich verantworteten Bildung arbeite ich nun für das Hessische Kultusministerium in der Hessischen Lehrkräfteakademie. Als Referent im Dezernat Medien koordiniere ich zurzeit ein landesweites Netzwerk von 50 Schulen und darf dabei jetzt auch Schulentwicklungsprozesse begleiten. Das geht deutlich über die fachdidaktische Perspektive hinaus und gewährt spannende Einblicke auch auf politischer Ebene. Ganz besonders freut es mich aber, dass ich hessenweit mit ganz vielen engagierten Kolleginnen und Kollegen in Schulen, Schulämtern, Medienzentren und weiteren Einrichtungen Kontakt haben darf: Das inspiriert ungemein!
Diese Erfahrungen aus Theologie, Pädagogik und Medienbildung konnte ich auch wiederholt in Veranstaltungen der SELK einbringen, wenn ich als Fortbildner und Referent zu Workshops oder Tagungen eingeladen wurde.
Und natürlich habe ich mich seit nun fast 30 Jahren aktiv in den Ortsgemeinden eingebracht, indem ich zu Hauskreisen einlud, Jugendarbeit leitete, Gottesdienste gestaltete, Freizeiten inhaltlich begleitete oder als Lektor auftrat … Zum Eintritt in die SELK ist es bislang aus unterschiedlichen Gründen nicht gekommen; das kann aber auch ganz schnell gehen - und das soll keine Drohung sein (lacht).
Ich bin fest davon überzeugt, dass es verheißungsvoll ist, in gute Strukturen für die Arbeit mit jungen Menschen zu investieren. Daher hatte ich mich auch, nachdem ich von der Jugendkammer angefragt wurde, für die Stelle als Hauptjugendreferent in der SELK beworben. Ich habe nach Vorgesprächen zwar diese Bewerbung aufgrund der derzeitigen Rahmenbedingungen wieder zurückgezogen; ich bin aber sehr dankbar, dass die Kirche für diesen wichtigen Arbeitsbereich immer noch Gelder bereitstellt und die Stelle neu besetzt werden konnte. Für alle Begegnungen und konzeptionellen Überlegungen wünsche ich Gottes reichen Segen und mutige neue Aufbrüche!

LuKi: Ist dein Arbeitsbereich in der Erwachsenenbildung auf Hessen begrenzt oder deutschlandweit?

Karsten Müller: Als Studienleiter Medienbildung für das Religionspädagogische Institut der Landeskirchen war ich zunächst einmal für Kurhessen-Waldeck und Hessen-Nassau angestellt. Das bezieht sich weitestgehend auf Hessen, auch wenn die EKHN in Rheinland-Pfalz ebenfalls Gebiete hat. Da ich aber auch für die Evangelische Kirche Deutschland (EKD) gesamtkirchliche Projekte mit begleitet oder verantwortet habe, war ich ebenfalls in ganz Deutschland und darüber hinaus unterwegs. Wichtig war mir eine gute Vernetzung mit den Studienleiterinnen und -leitern Medienbildung aller anderen Landeskirchen. Als Geschäftsführer trug ich Verantwortung für die RPI-Regionalstellen in Kassel und Fritzlar.
Als Referent der Hessischen Lehrkräfteakademie konzentriere ich mich auf das Bundesland, auch wenn die deutschlandweite Vernetzung über die digitalen Kanäle natürlich weiter besteht. Mein großes Vorrecht ist, nun viel enger Schulentwicklungsprozesse begleiten und unterstützen zu dürfen und dabei eng mit den Kooperationspartnern zusammenarbeiten zu können.

LuKi: Du planst ein großes Projekt – eine lutherische Schule in der Trägerschaft der SELK. Kannst du mir ein bisschen darüber erzählen, was es mit diesem Projekt auf sich hat und wie du auf die Idee gekommen bist?

Karsten Müller: Ja, es ist mir ein echtes Herzensanliegen, dass wir als Christen noch viel stärker die unglaublichen Chancen im Bildungsbereich nutzen. Aber der Impuls einer Schulgründung ging nicht von mir aus. Ich wurde wiederum aus den Reihen der SELK angesprochen, ob ich nicht meine Erfahrungen als Lehrkraft und Fortbildner in einen Thinktank (Anmerkung der Redaktion: Denkwerkstatt) einbringen könnte. Darauf habe ich mich sehr gerne eingelassen und selbst von vielen Impulsen profitiert. Nach ungefähr einem Jahr habe ich dann der Gruppe angeboten, eine Tagung zu veranstalten, auf der alle Bildungsideen aus dem Bereich der SELK zur Sprache kommen können und in diesem Zusammenhang auch die Schulgründungsinitiative bekannter gemacht wird. Im Oktober 2022 fand dann tatsächlich die „Bildungsblüten-Tagung“ als Ermutigungs- und Inspirationstagung in Kassel mit Teilnehmern aus ganz Deutschland statt. Nach der Veranstaltung haben sich die Personen vernetzt, um an einzelnen Ideen (also „Bildungsblüten“) weiterzuarbeiten. So entstand ein „Bildungsblüten-Netzwerk“, das ich gerne koordiniere und für das ich eine Website eingerichtet habe: www.bildungsbooster.de
Mit einer Vorbereitungsgruppe „Bildungsblüte Schulgründung“ habe ich dann erneut in Kassel ein Seminar veranstaltet, zu dem wir einen kompetenten Referenten einluden, der aktuell 20 Schulgründungsinitiativen begleitet und uns alle relevanten (z.B. juristischen und finanziellen) Aspekte wie einen „Fahrplan zur Schulgründung“ darstellte. Der erste Schritt würde eine Vereinsgründung sein. Damit werden wir uns 2024 beschäftigen. Auf jeden Fall stehen wir gerne auch weiterhin für eine Informationsveranstaltung in den Gemeinden zur Verfügung. Denn die Initiative für eine Schulgründung geht immer von den Eltern aus. Interessierte können sich gerne bei mir melden. Ich versuche bei der Vernetzung zu helfen. (Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!)
Diese Gestaltungsfreiheit einer Schulgründungsinitiative ist hierzulande ein großes Privileg der Eltern. Und es ist grundsätzlich sehr inspirierend, wie vielfältig die Aufbruchstimmung im Bildungssektor derzeit ist. Es gibt eine Fülle von alternativen Angeboten und Formaten. Auch wenn ich Referendare oder Vikare ausgebildet habe, ist mir oft aufgefallen, wie viel Begeisterung und pädagogische Kreativität eigentlich bei den jungen Kolleginnen und Kollegen vorhanden ist. Dafür gibt es aber allzu oft gar keinen Raum in einem mitunter starr anmutenden Schulsystem, was wenig beweglich und oftmals völlig überlastet ist. Hier braucht es dringend neue Ideen.
Bei all diesen Bildungsaufbrüchen ist für mich persönlich die Frage des „Wozu?“ wichtig: Mit welchem Ziel möchte ich etwas Neues gestalten? Und als Pädagoge nehme ich wahr, dass junge Menschen heute in einer hochkomplexen, globalisierten Welt aufwachsen. Da erhält neben dem Fachwissen auch das Orientierungswissen einen deutlich höheren Stellenwert: Nach welchen Werten möchte ich mein Leben gestalten? Was ist mein innerer Kompass? Auf diese Fragen kann ein christliches Bildungsengagement wertvolle Antworten liefern.
Eine christliche Schulgründung bietet für dieses Ziel hervorragende Voraussetzungen. Ich könnte mir aber auch andere Formate vorstellen. Bildung hat durch die längerfristige und intensive Begleitung von Menschen ein unglaubliches Präge-Potential: In den Köpfen und Herzen entsteht die Zukunft der Gesellschaft. Ich glaube, dass wir hier als Kirche strukturell noch viel kreativer werden können!

LuKi: Da sind ja tatsächlich viele Menschen an diesem Projekt begleitet. Kannst du sagen, wer da zurzeit den Hut aufhat?

Karsten Müller: Der Thinktank, also die „Bildungsblüte Schulgründung“, ist ganz unterschiedlich besetzt, hier kommen sowohl Laien, als auch Hauptamtliche mit vielfältiger Expertise und unterschiedlichen Perspektiven zusammen: Hinrich Brandt (Pfarrer, Greifswald), Tobias Hänsel (Projektmanager IT, Karlsruhe), Gudrun von Hering (Lehrerin, Kiel), Anne-Christin Heuer (Lehrerin, Göttingen), Bernhard Schütze (Superintendent, Hamburg), Michael Wenz (Vikar Allendorf/Ulm) und meine Wenigkeit. Die Gruppe möchte eine hilfreiche Grundlage und Vorbereitung für eine mögliche Schulgründung bieten. Ich selbst stehe als Koordinator auch als Ansprechperson zur Verfügung und biete durch Veranstaltungen gerne einen Raum für Inspiration, Ermutigung und Information. Wir verstehen uns aber nicht selbst als Schulgründer, sondern als Multiplikatoren der Idee. Wir werden in diesem Jahr das Schulgründungsseminar 2023 auswerten und über eine Vereinsgründung nachdenken. Die Schule kann wie gesagt nur durch eine Elterninitiative selbst gegründet werden. Interessierte können sich gerne über die Website www.bildungsbooster.de bei mir melden. Hier unterstütze ich auch gern bei der Vernetzung. Und sollte es tatsächlich zu einer Schulgründungsinitiative kommen, dann stünde ich bei passenden Rahmenbedingungen und richtig guter Konzeption auch gerne bereit für die Umsetzung. Das könnte ich mir als berufliches Engagement durchaus vorstellen. Was für ein Vorrecht, sich an einer so existentiell bedeutsamen Schnittstelle so wirksam mit seiner Arbeitskraft einsetzen zu dürfen!

LuKi: Meine nächste Frage ist wohl ein bisschen zu groß gestellt, nach dem, was du mir gerade erzählt hast. Aber gibt es schon konkrete Daten, wann und wo die Schule gebaut werden soll?

Karsten Müller: Wenn du mich fragst, wann die Schule gegründet werden soll, dann würde ich sagen: “Gestern!” (schmunzelt) Weil ich tatsächlich glaube, dass wir sehr schnell loslegen könnten, wenn wir wollten. Die Zeit scheint reif. Es sprießen in ganz Deutschland ständig freie Schulen wie Pilze aus dem Boden. Es gibt eine unglaublich reichhaltige Szene von Schulgründungen im reformpädagogischen (z.B. Montessori und Waldorf-Schulen) aber auch im christlichen Bereich. Der Referent des Schulgründungsseminars, Professor Dr. Wolfgang Stock, ist selber der Generalsekretär des Verbands evangelischer Bekenntnisschulen (VEBS). Allein in diesem Verband befinden sich über 200 christliche Kitas und Schulen, die schon gegründet wurden. Zurzeit werden zeitgleich 20 weitere Schulgründungsinitiativen betreut. Der „Markt“ boomt also, da ist richtig was los. Und es stellt sich schon die Frage: „Können wir es uns eigentlich als Lutheraner erlauben, nicht in Bildung zu investieren?!“ Ich bin der Überzeugung, dass wir hier theologisch etwas zu bieten haben!
Aber es bleibt dabei, dass es zunächst für eine Schulgründungsinitiative einen Verein braucht. Dann könnten auch konkrete Ideen für einen Standort gesammelt werden. Und diese sind natürlich auch abhängig von dem Wohnort derjenigen, die eine Schule gründen wollen. Inzwischen haben Informationsveranstaltungen in Gemeinden stattgefunden, wo wir über die Möglichkeit einer Schulgründung berichtet haben. Für weitere Anfragen stehen wir gerne zur Verfügung.
Vom Verband evangelischer Bekenntnisschulen wird nun zeitnah eine Publikation mit einer Schritt-für-Schritt-Anleitung “Schulgründung” veröffentlicht. Auch dies kann für eine Initiative sehr hilfreich sein.

LuKi: Wenn der Staat das finanziert, wie viel darf der Staat dann mit reinreden, wie die Schule ihren Lehrplan aufstellt? Soll es spezielle Fächer geben, wo lutherische Theologie gelehrt wird? Wie viel Freiheit haben wir da?

Karsten Müller: Wir sind verpflichtet, mit einem schulischen Projekt anschlussfähig zu sein an andere Bildungsgänge in Deutschland. Das heißt, wir unterrichten auf Abschlüsse hin. Der Schulabschluss muss in allen deutschen Bildungseinrichtungen ohne Wenn und Aber vergleichbar sein. Aber den Weg zu diesem Abschluss, also den konkreten inhaltlichen Lehrplan, den legt die Schule selbst fest. Diese unglaubliche inhaltliche Gestaltungsfreiheit ist vielen gar nicht bekannt.
So kann in allen Fächern der christliche Glaube als Querschnittsdimension gelebt werden. Das ist an einer staatlichen Schule so nicht denkbar. Wir können mit einem Gebet beginnen. Wir können als Ansprechperson für den Glauben in jedem Fach bereitstehen. Dass unser Leben als Christ Beziehungsgeschehen ist, dass wir uns immer an der Hand Gottes wissen… so etwas kann durch Lehrkräfte in alle Fächer transportiert werden. Wir schaffen also nicht die Fächer ab, bestimmen aber selbst, welchen Raum welcher Inhalt erhält.

LuKi: Welche Schulform soll bei dem Projekt Schulgründung denn eigentlich entstehen? Ist mehr an eine Grundschule gedacht oder auch weiterführende Schulen bis zum Abitur?

Karsten Müller: Das entscheidet die Schulgründungsinitiative. Oftmals wird zunächst eine Grundschule gegründet. Diese wird dann um eine weiterführende Schule ergänzt, wenn auf die staatliche Förderung zurückgegriffen werden kann. Das Projekt einer weiterführenden Schule ist anspruchsvoller aber selbstverständlich genauso möglich.
Für die Grundschule ist es wichtig, dass alle Eltern der Schülerinnen und Schüler schriftlich bestätigen, dass sie das Bekenntnis der Schule teilen oder dahinterstehen. Das unterscheidet die Grundschule von den weiterführenden Schulen. Hier können auch Kinder anderer Konfession oder Religion aufgenommen werden, ebenso bekenntnisfreie Schüler.

LuKi: Was erhoffst du dir von dem Projekt?

Karsten Müller: Der Begriff „Bildung“ hört sich ja für viele furchtbar akademisch und verstaubt an. Für mich verbirgt sich dahinter das „pralle Leben“, weil alle Bildungsprozesse im Kern auf Begegnung beruhen: mit meinem Nächsten, mit mir und mit Gott. Diese Begegnungen bilden meine Persönlichkeit - ein Leben lang. Als Pädagoge und Christ frage ich mich, wie wir junge Menschen auf der Grundlage von Gottes Wort stark machen können, sie für das Leben begeistern und ausrüsten? Welche Erfahrungsräume benötigen sie, um als Christen fröhlich, kraftvoll und mutig ein Licht in ihrer Kirche und der Gesellschaft zu sein? Das umschreibt für mich den Begriff „Herzensbildung“: Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung so zu unterstützen, dass ihr Gaben-Potential zur Entfaltung kommen kann, weil sie wissen, was sie können und wofür sie sich begeistern.
Ich glaube an die prägende Kraft von Bildungsprozessen, also junge Menschen begleiten zu dürfen und mithelfen zu können, ihnen für ihre Persönlichkeitsentwicklung ein Fundament für Entscheidungen in einer sehr komplexen und globalisierten Welt zu bauen. Gerne würde ich also neben dem Fachwissen auch Raum für Orientierungswissen geben. Dies ist letztlich Herzensbildung: Persönlichkeiten können in ihrem Herzen fest werden, sich fest verorten und orientieren.
Hierfür gäbe es viele Konzepte. Mein Traum von einer christlichen Schule wäre, dass sie sich in ihr direktes Umfeld im besten Sinne einmischt: „Serve the City!“ „Suchet der Stadt Bestes!“ Freie christliche Schulen haben oft mit dem Vorurteil zu kämpfen, es handele sich dabei um einen Rückzug aus der Gesellschaft hinein in eine Art weltfremden Elfenbeinturm. Mein Ansatz würde das Gegenteil verfolgen: Wie können wir als Kirche mit einer eigenen Schule der Gesellschaft dienen und mit diesem Beitrag für diese sichtbar auch unsere Relevanz für das gesellschaftliche Miteinander aufzeigen?!
Im gesamten Bildungssektor herrscht schon seit einiger Zeit sowohl in den Schulen als auch in den Elternhäusern eine große Unruhe. Die mediale Berichterstattung gibt dem nun zunehmend Raum. Die mitunter fast hysterisch aufgeladene Debatte bietet eine große Chance, selbst aktiv zu werden. Wer die Situation aufmerksam verfolgt, wird eine Fülle von Initiativen entdecken - nicht nur Schulgründungen! Die Zeit ist also reif: Wo bleiben wir Lutheraner?
Die Entdeckung des barmherzigen Gottes, vor dem wir uns nicht mehr zu rechtfertigen haben, sondern der für uns in Christus alles gegeben und getan hat: Das ist eine dermaßen befreiende Kraft des Glaubens, die wir dringend mit eintragen dürfen in den öffentlichen Diskurs. Und ich finde, da sollte die lutherische Stimme nicht schweigen, auch im Bildungsbereich nicht. Es geht also nicht um ein Indoktrinieren, sondern darum, im Kontext des Evangeliums die befreiende Kraft des Glaubens so nahe zu bringen, dass es der Persönlichkeitsentfaltung dient. Wenn man sich vorstellt, dass wir fünf Tage in der Woche mindestens sechs Schulstunden haben und die Kinder in diesem Bereich begleiten, hat das eine deutlich stärkere Prägekraft, als es jeder Sportverein, jeder Musikclub, jede Kirchengemeinde überhaupt leisten kann. Und diese Möglichkeit sollten wir uns als Kirche prüfen, um neben der Verkündigung, Diakonie und Mission tatsächlich auch an der Persönlichkeitsbildung, an der Herzensbildung von Menschen mitzuarbeiten.
Es wäre außerdem ein nicht zu unterschätzendes Signal, weil Kirche damit sichtbar sich nicht nur um sich selber kümmert, sondern neue Aufbrüche wagt. Wenn wir die Kirche der Zukunft denken, können wir uns nicht nur mit Verkleinerungsprozessen beschäftigen, sondern wir wagen im Vertrauen auf den lebendigen Gott Neues, zeigen der Gesellschaft unsere Relevanz und öffnen die Türen auch für andere Menschen, die zu uns kommen können. Geben wir der befreienden Kraft des Evangeliums auch mit einem schulischem Konzept Raum, dass Persönlichkeits- und Potenzialentfaltung möglich wird - echte Herzensbildung!

LuKi: Gibt es etwas, das du an der SELK besonders schätzt?

Karsten Müller: Ich glaube tatsächlich, dass die große Chance der SELK als kleine Kirche der familiäre Charakter ist. Das finde ich sehr offenkundig, wie herzlich und wie nah sich, über Deutschland verteilt, aus verschiedenen Gemeinden, die Menschen sind. Ich glaube, dass wir auch strukturell stark aufgestellt sind in der SELK, dass wir viel im Angebot haben, auch für Jugendliche. Und was mir besonders gut gefällt, ist - das klingt vielleicht schwer und staubig - eine sorgfältige Theologie: Dass Glaube Geschenk ist und dass wir Beschenkte sind. Dass wir in diesem Kontext Gott nicht ins Handwerk pfuschen können und uns das auch nicht anmaßen sollten. Diese befreiende Kraft des Glaubens hat Luther mit der Reformation neu “ausgegraben” und ich finde es sehr gut, dass die SELK sich so viel Mühe gibt, diese Befreiung tatsächlich auch theologisch gut festzuhalten. Außerdem hebt sie die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen hervor. Das ist ein sehr realistischer Blick auf unser Leben und keine humanistische Traumtänzerei. Das macht demütig, bodenständig und frei zugleich!

LuKi: Was möchtest du der SELK für ihre Zukunft mit auf den Weg geben?

Karsten Müller: Da maße ich mir keine strategischen Ratschläge an. Ich kann hier nur einige Beobachtungen aufführen.
Ich finde es gut und hilfreich, dass sich die Kirche auch mit sich selbst beschäftigt, um wichtige theologische Fragen und den eigenen Kurs zu überprüfen. Ich wünsche ihr dabei eine professionelle, externe Moderation, um Person und Sache gut zu trennen und persönliche Verletzungen zu vermeiden. Die derzeit diskutierte alleinige Ordination von Männern empfinde ich auch als große Chance einer theologischen Klärung. Diese braucht Raum und Zeit innerhalb der Pfarrerschaft und sollte nicht mehr aufgeschoben und zudem sehr genau erarbeitet werden. Das geht nicht nebenbei, sonst bleibt unklar, worum es eigentlich geht. Wenn in der Debatte um die Frauenordination zugleich auch gefragt wird, ob die Kirche ebenso homosexuelle Paare trauen soll oder ob in Anlehnung an die Abschlusspredigt des deutschen evangelischen Kirchentags “Gott queer ist”, dann scheint es mir hier einen viel grundsätzlicheren Klärungsbedarf zu geben: Gibt es so etwas wie eine Schöpfungsordnung, eine biblische Lehre vom Menschen? Hier sollte “mit offenem Visier” und sachlich transparent gearbeitet werden - für die Gemeinden, die dies im Regelfall nicht leisten können. Und zugleich wünsche ich, dass eine zu starke emotionale Aufladung vermieden werden kann, auch wenn mit viel Herzblut im guten Sinne gestritten wird. Hier kann es hilfreich sein, die gesellschaftliche Debatte zu berücksichtigen, sich aber nicht von ihr treiben zu lassen.
Und dann hoffe ich, dass es nicht bei dem Kreisen um sich selbst bleibt, sondern dass sich Kirche immer wieder neu von Christus rufen lässt und damit die Menschen in den Blick nimmt, die sich nach dem Evangelium sehnen. Dafür braucht Kirche Bewegungsfreiheit, nämlich um sich auf Menschen zuzubewegen, die sich umgekehrt nicht auf den Weg in die Gottesdienste machen.
Innerkirchlich höre ich mitunter den Wunsch, die Kirche der Zukunft müsse moderner werden. Ich frage mich dann oft, was das wohl zu bedeuten hat. Wenn es nur um andere Formen und Lieder im Gottesdienst geht, greift das für mich zu kurz. Ich glaube, wenn wir an die Zukunft der Kirche denken, dann sollten wir auch den ganzen Bereich der Partizipation der so genannten Laien in den Blick nehmen. Sie sollten sich als tätigen Teil dieser Kirchengemeinschaft empfinden, die ihre Kirche mitgestalten und über ihren Glauben Auskunft geben können. Dazu kann man strukturell noch stärker ermutigen.
Ein weiterer Punkt ist der ganze Bereich des Mentoring (Anmerkung der Redaktion: Begleitung). Damit meine ich nicht nur Begleitung durch Eltern oder Paten, sondern durch weitere Identifikationspersonen gerade auch in der Jugendarbeit: Es kann nicht sein, dass wir die Konfirmation schon als kirchliche Sollbruchstelle akzeptieren, nach der sich Jugendliche von der Kirche verabschieden. Ich glaube, dass es zusätzlich zum Sonntagsgottesdienst Möglichkeiten für Austausch, Erfahrung und Begleitung geben sollte, um sich mit dem eigenen Glauben auseinandersetzen und diesen zu leben.
Und vielleicht noch ein weiterer Aspekt: Die Begeisterung für die Bibel. Was ich mir für die Gemeinden wünsche, ist eine Sprachfähigkeit im Glauben, die weiß, worauf sie gründet. Die „Schatzkiste Bibel" ist nicht zuerst eine schwer zugängliche akademische Schriftensammlung, sondern ein hoch dynamischer Begegnungsraum mit dem lebendigen Gott. Ich würde mich freuen, wenn wir dies immer wieder als Kraft- und Inspirationsquelle entdecken. Dann ist es vielleicht auch möglich meinem Mitschüler oder Nachbarn “auf einem Bierdeckel” zu erklären, was für mich Glaube bedeutet. Auch wenn dies theologisch vielleicht fehlerhaft oder verkürzt ist, so ist es doch persönlich! Wir können immer noch auf gut theologisch ausgebildete Menschen verweisen, sind aber auch selber auskunftsfähig, was für mich dieses Vertrauen auf den lebendigen Gott bedeutet. Dann ist Bibel nicht Last, sondern tatsächlich so etwas wie Ermutigungsquelle.
All das kann dann auch zu einer höheren Bindungskraft an die eigene Kirche führen - muss es aber nicht: Für mich ist nicht die Bindung an eine Institution, sondern an Christus zentral.
Natürlich freue ich mich sehr darüber, wenn Jugendliche auch nach der Konfirmation am Gottesdienst teilnehmen und die eigene Gemeinde als ein lebendiges Miteinander empfinden. Aber für mich stehen nicht die Mitgliedszahlen im Zentrum, sondern die Nachfolge, die persönliche Jüngerschaft, das vertrauensvolle Festhalten an dem Auferstandenen - nicht nur sonntags, sondern mitten im Alltag. Deswegen habe ich auch persönlich überhaupt gar kein Problem, wenn junge Menschen die Kirche verlassen und sich (zeitweise) einer anderen Konfession anschließen. Da kann es ganz abenteuerliche religiöse Biografien geben. Richtige Schwierigkeiten habe ich aber damit, wenn Menschen die Kirche verlassen und sich gar keiner anderen christlichen Gruppe mehr anschließen, um ihren Glauben zu leben. Dann ist im Vorfeld irgendetwas problematisch gelaufen.
Deshalb verstehe ich auch die Ökumene nicht nur im Blick auf die evangelische und katholische Kirche, sondern ganz besonders auch mit Blick auf die evangelikale Szene. Hier sollten wir keine Berührungsängste haben und auch bei unterschiedlichen theologischen Schwerpunktsetzungen gemeinsam miteinander und voneinander lernen. Und ich glaube, dass wir von dem Spirit der Freikirchen viel lernen können, die ganz stark auf Laien-Bevollmächtigung, auf Kreativität, auf missionarische Aufbrüche setzen. “Gehet hin in alle Welt und machet zu Jüngern alle Völker!” Wenn wir diesen Missionsbefehl am Ende des Matthäus-Evangeliums wirklich ernst nehmen und uns dabei nicht von einem zu engen Amtsverständnis ausbremsen lassen, dann führt an einer viel stärkeren Zusammenarbeit mit den Evangelikalen kein Weg vorbei.
Deine Frage würde ich vielleicht so zusammenfassen: Die Bibel als Schatzkiste bewahren, Jüngerschaft leben und begleiten, Kirche gemeinsam gestalten, mutig missionarisch unterwegs sein und Glaube als Beziehungsgeschehen mitten im Alltag erleben.

LuKi: Was machst du gern in deiner Freizeit?

Karsten Müller: „Der Junge muss an die frische Luft!“ Also ich kann wirklich nicht leugnen, dass ich mich für technische Gadgets und auch Digitalität begeistern kann. Aber damit geht auch einher, dass ich von Berufs wegen ziemlich viel Zeit vor Displays in unterschiedlichen Größen verbringe. Auch deswegen liebe ich das Rauskommen, das Reisen und Entdecken von fremden Ländern, die Begegnungen mit anderen Menschen. Dabei bin ich sehr dankbar, dass ich beim „Van Life", also dem Unterwegssein mit dem Bulli, von meiner Frau begleitet werde, die sich nämlich für diese Art des Campings auf vier Rädern ebenfalls begeistern kann. Und wenn ich mir ein Reiseziel wünschen darf, dann würde ich frei nach Loriot formulieren: Ein Leben ohne Küste ist möglich, aber sinnlos.
Außerdem habe ich mir für das Jahr 2024 selbst die Hausaufgabe gestellt, dass ich schleunigst meine E-Gitarre und den Verstärker entstaube - egal, was die Nachbarn sagen.
Und vielleicht noch ein anderer Punkt: Ich liebe gute Geschichten, egal ob am Lagerfeuer, in Buchform oder multimedial. Und ich glaube, wir sollten uns, anstatt so viel herumzudozieren und uns lediglich auf den Informationsaustausch zu begrenzen, viel mehr erzählen - gerne auch vom “Abenteuer Glaube”.

LuKi: Gibt es ein Bibelwort, das dich in deinem Leben begleitet?

Karsten Müller: Mich begleiten sehr viele Bibelverse. Aber ich würde hier einen nennen, der vielleicht ganz gut zu dem passt, was wir besprochen haben. Römer 1, Vers 16: “Denn ich schäme mich nicht des Evangeliums; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben." Für mich ist diese Bibelstelle wichtig, weil sie dazu ermutigt, der Kraft des Evangeliums zu vertrauen, und auch dazu befreit, die Begeisterung an und mit diesem Gott mit anderen Menschen zu teilen. Ich glaube zutiefst daran, dass in unserer freien Gesellschaft das Christsein keine Privatsache ist, die nur hinter verschlossenen Türen oder nur für Eingeweihte stattfindet. Ich glaube, wenn mich diese Begegnung mit Gott so begeistert, die mir Christus ermöglicht hat, dann darf ich diese Begeisterung auch auf der Zunge tragen. Und das gilt nicht nur für mich, sondern auch für Institutionen - übrigens auch für eine christliche Schule! Diese lebendige Begegnung befreit von der ständigen Sorge um sich selbst; sie entwickelt stattdessen so etwas wie eine faszinierende Strahlkraft, und zwar die Strahlkraft Christi. Deshalb: “Evangelium first!”

LuKi: Karsten, ich danke dir für das Interview.

Karsten Müller: Sehr gerne. Du hast mich richtig gefordert (lacht). Vielen Dank für euer Interesse!


(Das Interview führte Claudia Matzke)

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Links:

Verband evangelischer Bekenntnisschulen
• Homepage: www.vebs.de
• Team (u.a. Prof. Dr. Wolfgang Stock): www.vebs.de/verband/team
• Vorlagen: www.vebs.de/verband/schulgruendung/vorlagen

Wertestarter
• Schulgründung: www.wertestarter.de/schulgruendung
• Finanzierungsbeispiel: PDF-Datei | 81kB

Karsten Müller, Kassel
• Medienpädagoge: www.MEDIAinRES.de  |  Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
• Christliche Bildung: www.bildungsbooster.de  |  Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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