Luther übersetzt

Luther Uebersetzt CoverLuther übersetzt – das klingt nach Gegenwart und Vergangenheit zugleich. Tatsächlich präsentiert sich die Geschichte der Bibelübersetzung im Begleitband zur Sonderausstellung „500 Jahre Neues Testament auf der Wartburg“ (4.–6. November 2022) als unabschließbarer Prozess, der bis in die Zukunft reicht. Luthers Übersetzung des Neuen Testaments in die deutsche Sprache wird in diesem Band als bedeutender Meilenstein gewürdigt, weil er Gottes Wort mit der Volkssprache nicht nur erstmals theologischen Laien zugänglich gemacht, sondern auch die junge Buchdruckerkunst mit immer neuen Aufträgen versorgt hat.

In zehn Aufsätzen, die den Erläuterungen einzelner Exponate vorangehen, nähern sich unter anderem Theologen, Kirchenhistoriker, Sprach- und Musikwissenschaftler unter verschiedensten Blickwinkeln der epochalen Leistung der Bibelübersetzung. Sie wird fassbar in den immer neuen Revisionen, die zwischen 1521 und heute gedruckt worden sind und den Wandel sprachlicher, theologischer und gesellschaftlicher Vorstellungen spiegeln.

Aber was heißt überhaupt „Übersetzen“ oder – wie Luther es nannte – „Dolmetschen“? Sicher nicht, den Text Wort für Wort einfach von der einen in die andere Sprache zu übertragen. Der erste Beitrag von Thomas Kaufmann beschreibt, wie sich Luther zwischen griechisch-deutschen Wörterbüchern, älteren zweisprachigen Bibelausgaben und zeitgenössischen Kommentarwerken der eigentlichen Schwierigkeit seines Übersetzungsvorhabens schmerzhaft bewusst wurde und ein leitendes Prinzip finden musste. Er sah es in der rechtfertigenden Tat Jesu Christi und in den entsprechenden Texten des Evangeliums und der Apostel. Gleichwohl brachte jeder neue Begriff die Vieldeutigkeit und Unschärfe älterer Übersetzungen zum Vorschein. Andererseits schien es für einige in Luthers Augen wichtige Sachverhalte noch keinen treffenden Ausdruck zu geben, wie das Beispiel der Übersetzung des Römerbriefs zeigt. Das „allein durch den Glauben“ (Römer 3,28) jedenfalls fand sich in keiner der kirchlich approbierten griechischen oder lateinischen Fassungen des Neuen Testaments. Denn dort war Anschaulichkeit auch noch kein Thema. Erst Luthers volkssprachliche „Wörter- und Wortewelt“, in die der Beitrag des Germanisten Jens Haustein einführt, förderte die nachhaltige Aneignung des Evangeliums und prägte Sprichwörter und Redewendungen wie jene vom „Licht unterm Scheffel“. Diesen altertümlichen Ausdruck für einen Hohlmaß-Behälter einfach durch das moderne Wort „Eimer“ zu ersetzen, wie in einer Revision des Neuen Testaments von 1975, sorgte für viel Spott und war nicht durchsetzbar. Davon berichtet detailreich der lutherische Neutestamentler Christoph Kähler in seinem Beitrag über die Geschichte der kirchenamtlichen Revisionen der Lutherbibel bis 2017, die jeweils mit der grundsätzlichen Herausforderung der „Korrektur eines Klassikers“ verbunden waren. Für die Jubiläumsausgabe wurden nahezu 5000 verschüttete Formulierungen Luthers wieder aufgenommen und somit der „Macht der Worte“ des Reformators Rechnung getragen.

Einen wichtigen Beitrag zur Volkstümlichkeit des christlichen „Klassikers“ leisten aber auch „nicht-amtliche“ Übersetzungen wie die „Gute Nachricht Bibel“ (seit 1968), gesellschaftsbewusste Fassungen wie die „Bibel in gerechter Sprache“ (seit 2006) oder die aus der Jugendarbeit hervorgegangene Nacherzählung „Die „Volxbibel“ (seit 2009). Sie reichen laut Beitrag der Kulturwissenschaftlerin Dorothee Menke bis zu interaktiven Projekten auf digitaler Basis, die im Internet stattfinden und Bibel-Arbeit zu einer demokratischen Angelegenheit machen.

Abgerundet wird der spannende Streifzug durch die Geschichte der Bibelübersetzungen durch Abstecher in die musikalische Verarbeitung lutherischer Bibeltexte, in die Geschichte des Buchdrucks und in die Welt der frühmodernen Diskussionen um die „Verbesserung“ der Übersetzung. Thematisiert wird nicht zuletzt die Wartburg, die für gut zehn Monate Luthers Bewegungsradius, nicht aber die Weite seiner sprachlichen Leistungsfähigkeit einschränkte.

Insgesamt bietet der reich mit Fotos von Exponaten und Räumlichkeiten illustrierte und einem wissenschaftlichen Apparat ausgestattete Band eine beinahe unerschöpfliche Fundgrube für private oder akademische Erforschung lutherischer Bibelübersetzung zu einem mehr als angemessenen Preis.

Rezension von Anne Heinig

Begleitband zur Sonderausstellung „500 Jahre Neues Testament auf der Wartburg“ (4. Mai bis 6. November 2022)
Luther übersetzt. Von der Macht der Worte.
Verlag Schnell und Steiner, Regensburg 2022, 192 Seiten, 15 Euro


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