Der Glaube, die Kirche und ich

Cover KnaussAus der Kirche auszutreten scheint einfach: beim Meldeamt ein Formular ausfüllen und eine Gebühr zahlen – das war‘s. War‘s das? Für die Schriftstellerin Sibylle Knauss jedenfalls nicht. Ihren Austritt – sie ist damals Anfang 50 – scheint niemand in der Kirche zu bemerken oder gar zu bedauern. „So umstandslos entließ man mich aus der heiligen christlichen Kirche, wie es im Apostolischen Glaubensbekenntnis heißt? Der Kirche, in der ich mein Heil, Vergebung meiner Sünden und das ewige Leben finden sollte? Und kein Entsetzen darüber, dass ich all das von mir wies? Zumindest Bekümmerung? Oder wenigstens Bedauern. Eine Geste des Abschieds. …“

Sie selbst aber merkt, dass dieser Schritt „nicht zu ihr passt“, dass eine Balance dadurch gestört wurde. Nach einigen Jahren tritt sie wieder ein. Und erlebt von Seiten der Kirche dieselbe Gleichgültigkeit wie bei ihrem Austritt.

Die heute 78jährige Autorin ist eine scharfe Beobachterin. Theologisch gebildet, macht sie sich in ihrem sehr persönlichen Buch auf die Suche nach Spuren göttlicher Gegenwart, in ihrem Leben, im Gottesdienst, in der Kirche. Es ist die Sehnsucht spürbar nach leidenschaftlichem Glauben, nach entschiedener Frömmigkeit. Und gleichzeitig doch immer eine kühle Distanz dazu. „Gebet und Gotteslob halte ich für unentbehrlich, um eine Art existenzieller Balance für mich zu erhalten“ schreibt Knauss, „fühle mich aber in der säkularen Gesellschaft, die mich umgibt, alleingelassen damit.“

Sibylle Knauss hinterfragt, sucht, versteht und zweifelt. Sie erzählt (sich) die Leidensgeschichte Jesu und (man) wird von ihr neu gefangengenommen. Sie feiert Ostern, das jeder Erwartbarkeit spottet, gegen die Natur ist, „wunderbar, unerklärlich und großartig“. Sie ärgert sich über Gottesdienste, in denen Klima- und Weltrettung die Botschaft von der ewigen Seligkeit ersetzt haben. Sie fragt sich, ob die junge Pfarrerin wohl an ihrem Grab „die Kühnheit besitzen wird, davon zu sprechen, dass ich zu Gott heimgekehrt bin? Zum ewigen Leben erwacht? Gehört es nicht zum kirchlichen Markenkern, mir ein postmortales Gericht in Aussicht zu stellen?“

Ein kluges Buch, das die Fragen mehr liebt als die Antworten, aber vielleicht gerade dadurch dazu einlädt, das eigene Bekenntnis zu überprüfen.

Rezension von Doris Michel-Schmidt

Sibylle Knauss
Der Glaube, die Kirche und ich
Alfred Kröner Verlag 2022, 160 Seiten, 16,00 Euro

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