Der Bauernspiegel
Albert Bitzius war Pfarrer im schweizerischen Emmental. 1837, da war Bitzius schon 40 Jahre alt, erschien sein erster Roman, der „Bauernspiegel oder Lebensgeschichte des Jeremias Gotthelf, von ihm selbst beschrieben“. Es ist mitnichten die Biografie des Albert Bitzius, aber es ist die Eröffnung eines literarischen Werkes, das er fortan unter dem Namen Jeremias Gotthelf veröffentlichen wird und das am Ende 13 Romane und 75 Geschichten umfassen wird.
Im „Bauernspiegel“ hält Gotthelf der bäuerlichen Welt der Schweiz im 19. Jahrhundert den Spiegel vor. Wir sehen darin, wie der „Verdingbub“ Jeremias jahrelang gleichsam als Leibeigener von Bauern ausgenutzt und drangsaliert wird, wie Lehrer und Politiker, ja auch Pfarrer in diesem brutalen, ungerechten System mitwirken. Wir sehen, wie die Liebe zu seinem Anneli jäh ein Ende findet, als sie bei der Geburt ihres ersten Kindes stirbt, weil der Arzt, aus Sorge um sein Honorar, nicht rechtzeitig kommt. Wir sehen, wie Jeremias fliehen muss und in die französische Armee eintritt, wie er als Kriegsverletzter heimkehrt, und wie schließlich ein gar sonderlicher Schriftsteller aus ihm wird: All das zeigt uns dieser „Bauernspiegel“ mit großer Wucht und Bildern, die man nicht vergisst.
Aber wer sich traut, der sieht in diesem Spiegel noch vielmehr. Der sieht, wie das Böse den Menschen von seiner göttlichen Bestimmung abbringt. Und wie ihm das besonders leicht gelingt, wo Armut, Ungerechtigkeit, wo Gier und Eigennutz herrschen. Der sieht, was Schuld in der Seele anrichtet und wie Lieblosigkeit sie verletzt. Insofern hat Gotthelfs Bauernspiegel bis heute nichts von seiner erschütternden Wirkung verloren.
Hilfreich ist im Anhang des Romans ein umfangreiches Glossar der Mundartausdrücke und eine Tabelle mit Angaben zu Währungen, Gewichten und Maßen.
Rezension von Doris Michel-Schmidt
Jeremias Gotthelf:
Der Bauernspiegel oder Lebensgeschichte des Jeremias Gotthelf, von ihm selbst beschrieben
Zürcher Ausgabe, hrsg. von Philipp Theisohn, mit einem Nachwort von Lukas Bärfuss
Diogenes Verlag 2024,
533 Seiten, 32,00 Euro