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Gottfinder

Cover GottfinderMatthias Hilbert kann Lebensgeschichten so zusammenfassen, dass sie neugierig machen. Auf die Porträtierten, auf deren Bücher. Auf die Glaubenszeugnisse. Denn wie schon in seinem Buch „Gottsucher“ porträtiert Matthias Hilbert auch in seinem neuen Band Dichter-Persönlichkeiten, die ihren Weg zu Gott fanden. Und auch diesmal gelingt ihm das Kunststück, in komprimierter Form Lebensbilder spannend und einprägsam zu skizzieren und dabei die Suche nach Gott ins Zentrum zu stellen.

Neben bedeutenden Namen wie Augustinus, Paul Claudel, T.S. Eliot oder Blaise Pascal sind diesmal auch weniger bekannte oder vergessene Schriftsteller dabei, wie Manfred Hausmann, Willy Kramp, die englische Krimiautorin Dorothy L. Sayers, Reinhold Schneide oder die norwegische Nobelpreisträgerin Sigrid Undset.
„Dass die vorgestellten Dichterinnen und Dichter nach ihrer Bekehrung bestrebt waren, dem Klang des Evangeliums auch in ihrem Werk eine Stimme zu verleihen, überrascht nicht“, schreibt Matthias Hilbert, denn „das existenzielle Angesprochensein von Gott war für sie weder eine Randnotiz noch eine akademisch-philosophische Angelegenheit, über die sich unverbindlich diskutieren ließe, sondern dieses Angesprochensein von Gott war für sie ein zutiefst erschütterndes Ereignis.“

Man könne den Titel des Buches auch umkehren, meint Hilbert, und feststellen, dass die porträtierten Autorinnen und Autoren sich „von Gott haben finden lassen und seinem Anruf nicht ausgewichen sind, sondern sich ihm gestellt haben“.
Insofern sind sie Glaubenszeugen geworden, und Matthias Hilbert ist es zu verdanken, dass er in dieser anregenden Art und Weise auf sie neu aufmerksam macht.

Rezension von Doris Michel-Schmidt

Matthias Hilbert
Gottfinder – Dichter-Bekehrungen durch die Jahrhunderte. 14 Dichterporträts
Steinmann Verlag 2021, 144 Seiten, 16,80 Euro

Wie ich zum Mann wurde

2021 10 Bachs Toechter 500pxAlexander Krylov hat viel zu erzählen. Aufgewachsen ist der 52jährige in Russland, in einer deutsch-russischen Familie, seit über zwanzig Jahren lebt er in Deutschland. Nach einer erfolgreichen akademischen Karriere an den Universitäten in Moskau, Bremen und Berlin entschied er sich, Priester zu werden.
In seinem Buch erzählt er kurze Anekdoten, Begebenheiten, Erinnerungen aus seiner Kindheit. Es sind kleine Einblicke in den Alltag in einem ideologischen System, aus der Sicht eines Jungen.

Der Atheismus war Staatsreligion, aber durch die Oma und die Mutter war der katholische Glaube in der Familie präsent, auch wenn eine richtige religiöse Erziehung nicht möglich war. Eine (orthodoxe) Kirche sah der Autor zum ersten Mal mit sechs Jahren, eine römisch-katholische erst mit zwanzig. Aber schon als Fünfjähriger hielt er seine erste Predigt, im Kindergarten. Da die anderen Kinder offensichtlich nichts von Gott wussten, trommelte er die Gruppe zusammen und teilte ihnen mit, wer im Himmel wohnt und was er alles für uns macht. Bei dieser „Verkündigung, die nicht den festgelegten Erziehungsrichtlinien“ entsprach, wurde er von der Kindergärtnerin ertappt. Die treue Sowjetbürgerin versicherte ihm, dass es keinen Gott gäbe, und sie führte als Beweis an, dass der erste sowjetische Kosmonaut Juri Gagarin im Kosmos gewesen sei und dort keinen Gott gesehen habe. Nur dumme und ungebildete Menschen würden an Gott glauben – und damit den Fortschritt stören.

Alexander Krylov beschreibt viele skurrile Szenen aus der Schule, aus seiner Zeit als Pionier, aus dem familiären Alltag. Er tut das mit Witz und Charme. Keine unglückliche Kindheit wird da erzählt, aber immer ist als Hintergrund das autoritäre System deutlich, das verhindern will, dass die Menschen wirklich erwachsen werden. Noch am Schulabschlussball 1986, so schreibt Krylov, konnten die 17jährigen sich nicht vorstellen, dass „der sicherste und auf die Ewigkeit gegründete Staat der Arbeiter und Bauern“ nur fünf Jahre später zusammenbrechen würde.

Eine unterhaltsame Lektüre, die begreiflich macht, wie „das normale Menschliche und das Wahnsinnige oft so nah beieinander lagen, dass man es kaum unterscheiden konnte.“

Rezension von Doris Michel-Schmidt

Alexander N. Krylov
Wie ich zum Mann wurde – Ein Leben mit Kommunisten, Atheisten und anderen netten Menschen
fe-Medienverlag 2020, 200 Seiten, 10,00 Euro

Fährmann, hol über!

2021 12 Cover Hoppe 500pxDer Fährmann des Buchtitels ist der heilige Christophorus, der Lieblingsheilige der Autorin Felicitas Hoppe. Ihr Verhältnis zu den Heiligen sei „auf fahrlässige Weise unhistorisch und schwankend“, schreibt sie in ihrem neuen Essayband, es sei „alles andere als theologisch begründet, sondern von alten Bildern grundiert“. Ihren Favoriten, Christophorus, sieht man auf Bildern oft als Riese mit einem Stab, der das Jesuskind („also mich, wen sonst!“ schreibt Hoppe) auf seinen Schultern über einen gefährlichen Fluss trägt.

Es sind solche Bilder aus ihrer katholischen Lebenswelt, die das literarische Schaffen der vielfach preisgekrönten Autorin prägen. Und es macht die Faszination ihrer Texte aus, dass sie diese beiden Welten – Glauben und Literatur – so intelligent, so leicht, so tiefgründig miteinander verbindet oder besser: ins Gespräch bringt.

Der Aufsatz mit dem Titel „Und schrieb in den Sand“ umkreist die Geste Jesu, als er die Ehebrecherin verurteilen soll und stattdessen „in den Sand schreibt“. Was bedeutet sein Schweigen, wie entsteht daraus eine machtvolle Präsenz und Kraft?

Der Text „Wie pfeift man das Johannesevangelium?“ verdankt seinen Titel einer Geschichte aus den Schweizer Alpen. Sie erzählt von zwei Brüdern, von denen der ältere den jüngeren loswerden will und ihn ins sichere Verderben schickt. Die strikte Anweisung lautet: „Du darfst während der ganzen Zeit weder singen, noch beten, noch lesen, noch das Kreuzzeichen machen.“ Das Pfeifen hatte der große Bruder zu verbieten vergessen, und so zog der jüngere mutig los – und pfiff das St. Johannesevangelium (wie auch immer sich das anhören mochte).

Felicitas Hoppe reflektiert ausgehend von Bildern und Geschichten ihr eigenes Schreiben, das Verhältnis von Erzählung und Schrift, von Erlebtem und Gehörtem.

Die Schleifen, die Hoppe vor, hinter und um diese und die anderen Geschichten führt, sind witzig, lehrreich, manchmal verwegen. Wie in all ihren Texten reist man als Lesende gern mit und bekommt Ein- und Aussichten präsentiert, die einen überraschen, erinnern – und trösten. Mehr kann Literatur nicht leisten, aber das ist schon sehr viel.

Rezension von Doris Michel-Schmidt

Felicitas Hoppe
Fährmann, hol über! Oder wie man das Johannesevangelium pfeift
Herder Verlag 2021, 159 Seiten, 18,00 Euro

Engelspost

Cover EngelspostIm ersten Halbjahr 1913 wurden in Amerika Dutzende Kinder per Post verschickt. Das klingt absurd, und dieser postalische Transport von Kindern wurde denn auch bald wieder verboten. Diese wahnwitzige Episode hat die Autorin Iris Muhl zu einer Geschichte inspiriert, die eben auf einer solchen Zugfahrt spielt. Eliott White, ein Hochstapler, Dieb und Betrüger, begegnet dabei einem verwahrlosten Waisenmädchen, dem eine Briefmarke angeheftet wurde, als sei es ein Paket. Wie sich am Ende herausstellt, ist das Mädchen schicksalhaft mit seinem Leben verbunden; in der Begegnung mit ihr wird sich White seiner Schuld bewusst und erkennt, dass er so nicht weitermachen kann. „Ich meinte, im Leben alle Trümpfe in der Hand zu halten“, sagt er, „und genau deswegen beging ich immer wieder Todsünden. Und dann stand dieses Kind vor mir mit einer Waffe, gegen die ich mich nicht zur Wehr setzen konnte.“ Es ist die Waffe der Zuneigung, der ungeschützten Aufrichtigkeit.

Iris Muhl erzählt die Geschichte mittels einer Rahmenhandlung: Fast 40 Jahre später wird Eliott White, mittlerweile zum erfolgreichen (ehrlichen) Unternehmer geworden, zum Radio-Interview gebeten und legt – für die Radiomacher und die Hörer unerwartet – so etwas wie seine Lebensbeichte ab. Hörer – und Leser – werden Zeugen dieser Beichte, in der ein Mann sein Leben reflektiert, mit all seinen Sünden und seinem Kampf gegen das schlechte Gewissen.

Er habe nur dann über Gott nachgedacht, wenn es ihm richtig gut ging, sagt er über sein früheres betrügerisches Leben. Denn dann sei ihm jeweils bewusst geworden, dass jemand anders gerade leiden musste. „Andere Menschen denken ja nur über Gott nach, wenn es ihnen schlecht geht. So war das bei mir aber nicht. Wurde ich enttäuscht oder war mit meinen Geschäftsideen wieder einmal am Ende, löste ich das, indem ich der Welt mit Flüchen begegnete.“ Eliott White hatte gemeint, sich einen Gott im Leben „nicht leisten zu können“. „Was bedeutete mir ‚göttliche Gerechtigkeit‘, wenn ich mir meine eigene zusammenbauen konnte?“ Geprägt von einer Kindheit, in der jeder sehen musste, wo er blieb, war er zum Zyniker geworden.

Wie die Zugfahrt, wie die Begegnung mit dem seltsamen Mädchen ihn verwandeln, das ist eine sehr berührende Geschichte über Schuld und Vergebung.

Rezension von Doris Michel-Schmidt

Iris Muhl
Engelspost, Die Geschichte eines Betrügers
Fontis-Verlag 2021, 176 Seiten, 18,00 Euro

Im Weltabenteuer Gottes leben

Cover ThomasMitgliederschwund, Bedeutungsverlust, Erschöpfung – man könnte glauben, die Kirche habe angesichts der eigenen Nöte selbst die Hoffnung und den Trost verloren. Günter Thomas, Professor für Systematische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum, lenkt in seinem Buch den Blick auf die „theologische Fehlersuche“ und legt die tieferliegenden Gründe der Kirchenkrise frei. Das provoziert (manche), könnte aber die Verantwortlichen auch entlasten, die sich im Strudel der Struktur- und Organisationsdebatten erschöpft haben.

Was die Thesen von Günter Thomas grundiert, ist die Überzeugung, dass „nicht nur der akademischen Theologie, sondern auch der Kirche (…) die Vorstellung von Gottes Lebendigkeit abhandengekommen“ sei. Wie ein „unterirdischer Schwelbrand“ habe sich die Überzeugung verbreitet: „Was auch immer Gott ist, er ist kein lebendiger Akteur“. In der Konsequenz wird die Theologie allein auf eine ethisch-politische Weltverantwortung umgestellt – und die Kirche damit hoffnungslos überfordert. Die Anforderungen werden grenzenlos, die To-do-Listen unendlich. „Jede Reform erzeugt neue Aufgabenfelder“, so Thomas, „jede Suche nach Relevanz schafft einen neuen Job.“ Häresien (Irrlehren) gibt es noch, aber nur auf moralischem Feld. Die aber zerreißen Gemeinden, belasten Synoden, spalten Familien und entfachen im Internet wahre Glaubenskriege.

Freude kommt dabei sicherlich keine auf. Und die Botschaft der Kirche kommt bei vielen so an: „Achtung der Menschenrechte und der Goldenen Regel, das reicht“. Dem entspreche ein „Entrümpeln“ der Theologie, sagt Thomas und nennt diese Strategie „spirituelles Feng Shui“: „Befreien wir uns von altem religiösen Gerümpel, so werden wir besser verstanden! Himmelfahrt Christi? Versteht keiner, raus! Rede von Sünde? Hat nur Schlimmes angerichtet, weg damit! Offenbarung Gottes in Christus? Stiftet nur Streit, stört das harmonische multireligiöse Miteinander! Ein zorniger Gott? Toxisch für Liebe und Humanität! Ein jüngstes Gericht? Mein Gott, wie altmodisch! Vater unser? Eine Unheilsgeschichte beenden! Gemeinden? Muffig, kümmerlich!“ Am Ende stünde in dem leeren Haus der Theologie noch die kleine Truhe der Theologie der Krabbelgottesdienste: „Gott liebt dich und begleitet dich!“ Thomas scharfe Kritik: „Wer die Schwere, Dichte und Sperrigkeit der Erzählungen von Gottes Weltabenteuer unter das Niveau des gesunden Menschenverstandes drückt, sollte sich über Austritte nicht wundern. Wer will in so kahlen Gemäuern wohnen?“

Der „theologischen Fehlersuche“ des Autors folgt man fasziniert, zustimmend, manchmal irritiert und zum Widerspruch genötigt, aber immer hineingezogen in ein produktives Nachdenken über die Zukunft der Kirche. Seine Lösungsvorschläge überzeugen in mancher Hinsicht nicht. Und das Durchdeklinieren der Paulinischen Trias von Glaube, Liebe und Hoffnung mittels der Schablone des „Weltabenteuers Gottes“ wirkt zuweilen redundant und philosophisch-wolkig. Trotzdem: sehr lesenswert!

Rezension von Doris Michel-Schmidt

Günter Thomas
Im Weltabenteuer Gottes leben, Impulse zur Verantwortung für die Kirche
Evangelische Verlagsanstalt 2020, 363 Seiten, 16,00 Euro

Johann Sebastian Bachs Töchter

Bachs Töchter1750 stirbt Johann Sebastian Bach, der große Musiker und Leipziger Thomaskantor, der zu Lebzeiten immer um Auskommen und Anerkennung kämpfen musste. Für seine Witwe Anna Magdalena und die vier Töchter beginnt nun eine ungewisse Zeit. Sie müssen die Kantorenwohnung räumen, sind von finanziellen Zuwendungen abhängig, rutschen mehr und mehr in die Armut.

Die Autorin Carola Moosbach stellt Bachs Töchter ins Zentrum ihres historischen Romans. Während die Söhne Bachs aus seiner ersten Ehe ihre Karrieren als begabte Musiker begonnen haben – und später wie ihr Vater zu Ruhm gelangen –, ist von seinen Töchtern wenig bekannt. Auf einfühlsame und wunderbare Weise zeichnet Carola Moosbach deren Leben nach dem Tod des Vaters nach. Sie schafft es, ihre Detailkenntnis umzusetzen in ein lebendiges Bild der damaligen Zeit und der Familie. Besonders die jüngste der Bach-Töchter, Regina, wächst einem beim Lesen ans Herz. Auch sie hat das musikalische Talent geerbt, es wird aber kaum gefördert und versandet unter den beschwerlichen Lebensumständen.

Wie die Frauen kämpfen – gegen Armut, gegen Kränkungen und Krankheiten, wie sie geknickt werden und doch ihre Würde behalten: das ist großartig beschrieben und ein lehrreiches Lesevergnügen.

Rezension von Doris Michel-Schmidt

Carola Moosbach
Johann Sebastian Bachs Töchter
Benno Verlag 2021, 272 Seiten, 16,95 Euro

Altes Liedgut in neuem Gewand

CD Cover 400pxWie klingt es, wenn die Loreley auf A-cappella-Jazz trifft? Lässt sich aus dem Klassiker „O Täler weit“ eine musikalische Botschaft für das Pop-Zeitalter herauslesen? Und taugt „Im schönsten Wiesengrunde“ auch für die aktuellen Charts?

Antworten auf Fragen wie diese liefert „Die Gedanken sind frei“. Das eben erschienene neue Album der A-cappella-Formation Maybebop enthält 17 Volkslieder, die man so noch nicht gehört hat. Die Gruppe um den Bariton Oliver Gies, 1992 in Hannover gegründet, ist bekannt für hochwertige Vokalmusik mit hintersinnigen Texten. Mit Stil- und Genregrenzen sind die Musiker dabei immer schon flexibel umgegangen, Volkslieder gehörten von jeher zum Repertoire. Für ihre neue Platte hat Maybebop nun ausschließlich altbekannte Melodien clever neu arrangiert und damit ordentlich entstaubt – ohne dabei jedoch den Respekt vor dem alten Liedgut zu verlieren.

So werden immer wieder auch die klassischen Chorsätze zitiert, wobei sich die stimmliche Qualität der Sänger besonders deutlich offenbart: Bandgründer Oliver Gies zum Beispiel hat früher im Landesjugendchor Niedersachsen mitgesungen. Allerdings bleibt es nie beim Erwartbaren, denn jedes der neuen Arrangements hält etwas Unerwartetes, Überraschendes bereit. Dabei wird stets die für Maybebop so typische Balance aus Leichtigkeit und Tiefgründigkeit
gewahrt.

Weil dieses Volksliedalbum auch musikalische Elemente von Jazz, Pop, Elektro und selbst Gothic Rock enthält, eignet es sich übrigens auch bestens zum generationsübergreifenden Hören. „Die Gedanken sind frei“ ist eine wundervolle Botschaft an alte und junge Menschen in unserem Land – „voller Heimatliebe und frei von jeglichem Nationalstolz“, wie es zutreffend im offiziellen Pressetext zum Album heißt.

Rezension von Juliane Moghimi

Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind

Ihr sollt wissenAm Ende versteht man, warum die Suche nach ihren Vorfahren für Esther Safran Foer zu einer Obsession wurde. Sie ist das Kind von Holocaust-Überlebenden. Ihre Eltern wollten nicht über die Vergangenheit sprechen, aber sie wollte wissen. Sie wollte die vielen Lücken in ihrer Familiengeschichte füllen. Sie wollte das Schtetl in der heutigen Ukraine finden, wo ihr Vater gelebt hatte. Sie wollte herausfinden, wer ihn vor den Nazis versteckt hatte und ihm damit das Leben rettete. 1942 hatten die deutschen Truppen die Juden in Trochenbrod ein Massengrab ausheben lassen und sie dann erschossen.

Puzzle für Puzzle setzt Safran Foer zusammen, erfährt, dass sie eine Halbschwester hatte. Sie reist nach Südamerika, nach Israel und schließlich in die Ukraine, um Zeitzeugen zu befragen und das Bild zu vervollständigen. Wo ihr Sohn, Jonathan Safran Foer, seine Familiengeschichte in seinem erfolgreichen Roman „Alles ist erleuchtet“ noch über weite Strecken „erfinden“ musste, konnte seine Mutter die Lücken nun mit ihren Recherche-Ergebnissen füllen. Das Buch ist ein beeindruckendes Zeugnis der Erinnerung, die umso wichtiger wird, je weniger Holocaust-Überlebende noch da sind, die von der Vergangenheit erzählen können.

Rezension von Doris Michel-Schmidt

Esther Safran Foer:
Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind
Verlag Kiepenheuer & Witsch 2020, 288 Seiten, 22,00 Euro

Kirche der Zukunft

Kirche der Zukunft 300px„Kirche muss sich ändern“ – wie ein Mantra wird die Forderung in der Diskussion um die Zukunft der Kirche wiederholt. Traditionsabbruch, Gottvergessenheit, hausgemachte Skandale, Mitgliederschwund – dass es so mit der Kirche nicht weitergehen kann, scheint klar. Aber wie denn? Was muss sich ändern?

23 junge Pfarrerinnen und Pfarrer aus allen evangelischen Landeskirchen Deutschlands, aus der Schweiz und Österreich wurden für dieses Buch gebeten, aufzuschreiben, wie sie die Kirche der Zukunft sehen, von Erfolgen oder vom Scheitern zu berichten, von Hoffnungen, Ängsten und Träumen.

In ihren Texten ist die Not zu spüren, die das Abnehmen von Ressourcen, von gesellschaftlicher Relevanz und Akzeptanz bedeutet. Kirche – und das gilt für alle Konfessionen und Denominationen – ist derzeit geprägt von Verlusterfahrungen. In den Antworten versuchen die Pfarrer und Pfarrerinnen, diesem „Starren auf das, was nicht mehr da ist“ etwas entgegenzuhalten. Es kommt der drängende Wunsch nach einer „Öffnung“ zum Ausdruck, nach „Vielfalt“, nach einem Abstreifen von überkommenen Strukturen und nach Aufgeben von „Standardprogrammen“, die scheinbar niemanden mehr interessieren. Kirche soll sich „hinauswagen“, sie soll „die Sprache der Menschen sprechen“, sie soll „den Menschen zuhören“ und mit ihnen gemeinsam versuchen, „im Licht des Evangeliums einen guten Weg zu finden“. Die Kirche soll in jedem Fall weniger „Pfarrerzentriert“ werden, Pfarrer und Pfarrerinnen sollen „mit den Menschen leben“, sollen „Traum- und Hoffnungsdeuter“ sein oder „kluge Ritualdesigner“, die mit vielen anderen Menschen gemeinsam ständig neue Formen ausprobieren. Die „Schwellen bei Kasualien“ sollen herabgesetzt werden. Liturgie spielt dabei kaum mehr eine Rolle, weil eh fast niemand mehr versteht, was da gesagt und gesungen wird. Exegetisch korrekte Bibelauslegung wird unwichtig, stattdessen tritt die persönliche Erfahrung und „die eigene, am Studium sowie am Leben geschulte Theologie“ ins Zentrum. „Was für eine Befreiung! Je weniger wert das Amt des Pfarrers ist, desto mehr kann er loslassen“, schreibt ein Pfarrer. Gibt es eine andere Berufsgruppe, die ihre eigene Profession – oder eben ihre Berufung – so vehement selbst demontiert?

Dass konfessionelles Denken in diesen Zukunftsvisionen nicht mehr vorkommt oder höchstens als belächelte, verstaubte Idee aus früherer Zeit, wird nicht erstaunen. Dass die Verkündigung vorwiegend als „Belehrung“ und daher äußerst suspekt gesehen wird, kann angesichts der Entwicklung der Landeskirchen auch nicht wirklich verwundern.

Kirche muss sich ändern? Ja, sie wird sich ändern, schon allein, weil weniger Geld und weniger Gläubige die Zukunft prägen werden. Wenn allerdings das Überbordwerfen aller theologischen Inhalte die Zukunft der Kirche prägen soll, wird diese Kirche wohl keine Zukunft haben.

Rezension von Doris Michel-Schmidt

Ferenc Herzig u. a. (Hrsg.):
Kirche der Zukunft – Zukunft der Kirche, 23 junge Pfarrerinnen und Pfarrer erzählen
Gütersloher Verlagshaus 2021, 224 Seiten, 22,00 Euro

Lutherisch und selbstständig

Lutherisch und selbstaendig 300pxAm 25. Juni 2022 jährt sich der Jahrestag des Zusammenschlusses selbstständiger lutherischer Kirchen zur SELK zum 50. Mal. Im Vorfeld dieses Jubiläums erscheint dieser Band zur „Einführung in die Geschichte selbstständiger evangelisch-lutherischer Kirchen“ in einer stark erweiterten und aktualisierten Neuauflage. Die Herausgeber, Prof. Werner Klän und Prof. Gilberto da Silva, haben neue Quellen gesichtet (und auch ihren Quellenband entsprechend aktualisiert). Außerdem wurde unter anderem ein Beitrag über den Weg der „altlutherischen“ Kirche zwischen 1945 und 1990 in der ehemaligen DDR aufgenommen; neue Entwicklungen in Mission und Diakonie werden thematisiert, ebenso wie das Verhältnis von selbstständigen evangelisch-lutherischen Kirchen und Judentum. Das Jubiläum der Gründung der SELK im nächsten Jahr ist ein guter Anlass, sich der Geschichte der Vorgängerkirchen der SELK (erneut) zu erinnern – und das eigene Selbstverständnis als konkordienlutherische Kirche heute zu reflektieren.

Rezension von Doris Michel-Schmidt

Werner Klän, Gilberto da Silva (Hrsg.):
Lutherisch und selbstständig. Eine Einführung in die Geschichte selbstständiger evangelisch-lutherischer Kirchen
2. akt. Auflage, Edition Rupdrecht 2020, 146 Seiten, 24,00 Euro

Gottes Botschaft hören, glauben und verstehen

Gottes Botschaft„Gottes Botschaft hören, glauben und verstehen“: Die Reihenfolge im Titel des Buches von Detlef Löhde ist programmatisch. Es heißt eben nicht „hören, verstehen und dann das Verstandene glauben“. „Wir sollen vertrauen und glauben, dass Gott nicht lügt und nur unser Bestes will“, schreibt der Autor, „von dieser Haltung her erschließen und beantworten sich dann auch viele Fragen. Dann verstehen wir mehr und mehr, was wiederum unseren Glauben erbaut und stärkt“.

Aufbauend auf den Erfahrungen eines Glaubenskurses, hat Detlef Löhde, der als ehrenamtlicher Pfarrdiakon in der SELK dient, ein Kompendium der wichtigsten christlichen Glaubenslehren verfasst. Als kundiger Reiseführer begleitet das Buch einen auf dem Weg in das Land des Glaubens. In gut verständlicher Sprache, mit zahlreichen Verweisen auf die Heilige Schrift, lutherisch fundiert. Die einzelnen Kapitel oder Themen lassen sich gut einzeln lesen und auch beispielsweise in Bibelstunden als Gesprächsgrundlage verwenden.

Rezension von Doris Michel-Schmidt

Detlef Löhde:
Gottes Botschaft hören, glauben und verstehen - Ein Glaubensbuch
Sola-Gratia-Verlag 2020, 203 Seiten
unter www.sola-gratia-verlag.de kostenlos als E-Book herunterzuladen oder als Broschur für 6,00 Euro zu bestellen

Schlechtes Benehmen in der Kirche

Schlechtes Benehmen ...Lautes Schwätzen, aufs Handy starren, Kaugummi kauen – in der Kirche ist das verpönt; es ist unangemessen, und es stört. Dass schlechtes Benehmen im Gottesdienst allerdings kein Phänomen der jüngsten Zeit ist, zeigt der Theologe Guido Fuchs in seinem launig-informativen Streifzug durch die 2000-jährige Geschichte. Beispiele dafür findet er schon bei Paulus, der die Korinther wegen ihrer Mahlfeiern rügt; im späten Mittelalter wurden während des Gottesdienstes Geschäfte abgewickelt; Kinder spielten Fangen und Hunde liefen frei in der Kirche herum. Aktuelle Beispiele findet der Autor in der Literatur, in Zeitungsartikeln und in persönlichen Schilderungen, die ihm im Rahmen eines Projektes zum Thema zugeschickt wurden. Auch die diversen „Kirchen-Knigges“, die auf dem Markt sind, sowie Hinweisschilder mit entsprechenden Piktogrammen am Eingang vieler Kirchen belegen, dass das angemessene Verhalten in der Kirche nicht selbstverständlich ist. Die Bandbreite dessen, was im Gottesdienst unpassend oder ungehörig ist, reicht dabei von falschem Verhalten aus Unwissenheit bis zur störenden Tat mit strafrechtlicher Relevanz: vom Zuspätkommen über „unschickliche“ Kleidung, lautes Reden, Schlafen, Essen und Trinken, Fotografieren, Rauchen, Popeln, Betteln bis zu gezielten politischen Störaktionen.

Die Beispiele, die der Autor aufführt, sprechen für sich: Schülergottesdienste, in denen (nicht nur) Kinder und Jugendliche laut lachen, blödeln, klatschen; Weihnachtsgottesdienste mit Krippenspiel und einem Lärmpegel samt Getränken wie auf dem Weihnachtsmarkt; Taufgottesdienste, in denen das Fotografieren und Filmen das Sakrament der Taufe zur Nebensache degradieren.

Aber nicht nur die „Gottesdienstbesucher“ oder Touristen, die in die Kirche kommen, benehmen sich manchmal deplatziert – auch diejenigen, die liturgische Dienste wahrnehmen, verhalten sich nicht immer nur vorbildlich.

Was sind die Hintergründe solchen Benehmens: Unwissenheit oder religiöses Desinteresse? Auflehnung gegen kirchliche beziehungsweise gesellschaftliche Normen oder einfach nur menschliche Schwäche? Guido Fuchs ist zurückhaltend mit Erklärungen, seine Hinweise sind trotzdem deutlich und bedenkenswert. Ja, oft ist es nur Unwissenheit, die sich störend auswirkt. Vieles wird als selbstverständlich vorausgesetzt, ist es aber längst nicht mehr; das Erklären und Reflektieren der liturgischen Ausdrucksformen wären daher wichtig. Gelegenheit dazu fände man oft in den Schrifttexten der Sonntage selbst, schreibt Guido Fuchs, aber: „Möglicherweise ist die Angst, als traditionalistisch zu gelten, Grund dafür, dass dies leider nur selten geschieht. Ähnlich gibt es eine Angst davor, Menschen anzusprechen und in ihrem Verhalten zu korrigieren.“

Rezension von Doris Michel-Schmidt

Guido Fuchs:
Kleine Geschichte des schlechten Benehmens in der Kirche
Friedrich Pustet Verlag 2021, 184 Seiten, 19,95 Euro

Tischgespräche

Podcast 340pxNormalerweise erscheinen an dieser Stelle Buchvorstellungen. Diesmal soll Ihnen ein Podcast vorgestellt werden, der versucht, die Botschaft der Reformation Christen von heute nahezubringen. Den beiden verantwortlichen Pastoren, Malte Detje und Knut Nippe, gelingt dies auf eine verständliche und lockere Art und Weise. Bevor es nun um die Sache geht, gibt es noch eine kurze Erklärung, was ein Podcast ist. Es handelt sich dabei um ein Format im Internet, das einer Radiosendung sehr ähnlich ist. Einzelne Audiobeiträge stehen entweder über die Internetseite des Podcasts selbst bereit, oder man abonniert ihn über einen Dienst und wird dann über neue Folgen benachrichtigt. Hören kann man die Folgen, wann es jedem selbst beliebt.

Schon der Name Tischgespräche soll die Assoziation mit Martin Luther wecken. Die Pastoren Detje und Nippe sind der Überzeugung, dass die Botschaft der Reformation auch auf Menschen des 21. Jahrhunderts eine befreiende Wirkung hat. Letztlich handelt es sich bei der Botschaft der Reformation schließlich um die Botschaft, die die Christenheit von Anfang an antrieb. Verschiedenste Themen des christlichen Glaubens kommen zur Sprache, und Zuhörer-Fragen werden an passenden Stellen aufgenommen. Einzelne Themen können dann zum Beispiel sein: „Was können wir von Luther lernen?“ „Was macht ein gutes christliches Lied aus?“ oder „Warum taufen wir Kinder?“ Aktuell gibt es eine Reihe von Folgen zu den „Loci Communes“ von Philipp Melanchthon, also die erste evangelische Dogmatik. Den Pastoren Detje und Nippe gelingt es in ihrer verständlichen und doch tiefgründigen Art, den Hörerinnen und Hörern die Themen dieser Glaubenslehre nahezubringen. Auch ohne das Buch gelesen zu haben, sind die entsprechenden Folgen lohnend und verständlich. Man muss kein Theologe sein, um diesen Podcast mit Gewinn zu hören, nur Interesse für den christlichen Glauben ist nötig. Fachbegriffe werden zwar durchaus verwendet, aber in der Regel auch erklärt.

Hört man als „Bekenntnis-Lutheraner“ den Podcast der beiden Pastoren aus der Nordkirche, dann wird man sehr viel Übereinstimmung im Glauben feststellen. Das liegt allerdings nicht zwangsläufig an der Prägung der Nordkirche, sondern vor allem an den Personen selbst. So ist zum Beispiel Malte Detje der zweite Vorsitzende der „Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis“ in der Nordkirche. Hört man einige Folgen des Podcasts, dann wird deutlich, dass beide Pastoren in den lutherischen Bekenntnisschriften zu Hause sind. Der Podcast ist hörenswert für alle, die an Glaubensthemen in einer reformatorischen Perspektive interessiert sind.

Rezension von Mark Megel

Malte Detje und Knut Nippe:
Tischgespräche – Die Botschaft der Reformation für Christen von heute
https://tischgespraechepodcast.wordpress.com.

Sophie Scholl: Es reut mich nichts

Sophie Scholl 300pxSophie Scholl, die gemeinsam mit ihrem Bruder Hans und weiteren Freunden zum Kreis der später sogenannten „Weißen Rose“ gehörte, habe eine fast ikonische Bedeutung erlangt, schreibt der Theologe und Historiker Robert M. Zoske in seiner eindrucksvollen Biografie der Widerstandskämpferin gegen die Diktatur Hitlers.

Am 18. Februar 1943 wurde die 21-jährige Studentin Sophie Scholl verhaftet, nachdem sie in der Münchner Universität Flugblätter in den Lichthof hinuntergestoßen hatte und dabei beobachtet wurde. Vier Tage später wird sie – wie ihr Bruder und weitere Mitglieder der „Weißen Rose“ – vom NS-Regime „wegen Vorbereitung zum Hochverrat und wegen Feindbegünstigung zum Tode und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte“ verurteilt und am selben Tag hingerichtet. Am 9. Mai 2021 jährte sich ihr 100. Geburtstag.

„Es scheint, als wäre diese junge Frau zur Heldin geboren“, schreibt der Biograf Zoske, „doch der Mensch Sophie, wie er uns aus den Quellen entgegentritt, hatte viele Facetten, von denen die todesmutige Gefangene, wie sie am Ende vor dem Volksgerichtshof steht, nur eine von vielen ist.“ Der Autor nähert sich dem Leben von Sophie Scholl anhand von Dokumenten, vor allem auch ihren Briefen, und er zeichnet ihren Weg vom begeisterten Hitlermädchen zur entschlossenen Widerstandskämpferin einfühlsam und aufschlussreich. Erst durch dieses „ungeschönte“, aber detaillierte Bild wird die junge Frau lebendig, die Liebe und Freundschaft auf äußerst verwirrende und widersprüchliche Weise erlebte. Die sich viele Jahre begeistert im Bund Deutscher Mädel engagierte. Die hohe Ideale hatte und nur langsam erkannte, dass der Nationalsozialismus diese aufs Brutalste verriet.

Gerade aus den Briefen an ihren Freund Fritz Hartnagel spricht ihr tiefer Glaube und ihre ernsthafte, drängende Beschäftigung mit religiösen Fragen.

Robert M. Zoske entmythologisiert das Bild von Sophie Scholl, entlarvt dabei manch heroisierende Pinselstriche und bringt uns gerade dadurch den Menschen Sophie Scholl nahe. „Auch ohne legendenhafte Überhöhung und wohlfeile Instrumentalisierung ist Sophie Scholl eine Ausnahmeerscheinung“, schreibt Zoske, und: „Sophie Scholl war eine außergewöhnliche, bewundernswerte Frau. Sie darf angesichts ihrer Tat Ikone – ein Vor- und Leitbild – für Glaubensmut, Mitmenschlichkeit und Widerständigkeit sein. Aber sie war und ist mehr als das.“

Rezension von Doris Michel-Schmidt

Robert M. Zoske:
Sophie Scholl: Es reut mich nichts; Porträt einer Wiederständigen
Propyläen Verlag 2020, 448 Seiten, 24,– Euro

Gottsucher

GottsucherEin schöner Titel für die zwölf kurzen Porträts von Dichtern aus dem 19. und 20. Jahrhundert, die Matthias Hilbert hier versammelt hat. Gottsucher waren sie tatsächlich, das lässt sich auch an ihren Werken ablesen. Hilbert hat sie vor allem ausgewählt, weil sie alle eine erstaunliche Lebenswende zum christlichen Glauben hin vollzogen haben.

Da ist Gilbert Keith Chesterton, als „Raufbold Gottes“, als „Poet der Orthodoxie“ wurde er bezeichnet. Als Erfinder der Figur des „Pater Brown“ gewann er eine große Fangemeinde. Als junger Mann nach eigenen Worten „fast ganz Heide und Pantheist“, wird er zunehmend angezogen und überzeugt von der Wahrheit des christlichen Glaubens.

Da ist Fjodor M. Dostojewski, ein ganz Großer der Weltliteratur. Aufgewachsen in der Tradition des orthodoxen Glaubens, wird der Schriftsteller als 27-Jähriger mit einer Gruppe Gleichgesinnter verhaftet und zum Tode verurteilt. Die Hinrichtung wird nicht vollstreckt, stattdessen werden die Männer nach Sibirien verbannt. Auf dem Marsch dorthin erhält er ein Neues Testament in die Hand gedrückt. Es wird ihn sein Leben lang begleiten.

Da ist Sören Kierkegaard, der dänische Philosoph und Theologe, der sich von seinem frommen und dominierenden Vater emanzipieren und nicht mehr glauben will. Aber Gott wird er nicht los. Also will er den Glauben neu wagen, und auch er wird zum „Gottsucher“.

Da sind Graham Greene, C. S. Lewis, Alexander Solschenizyn, Leo N. Tolstoi, Carl Zuckmayer, und da sind jüdische Schriftsteller, die zum Christentum konvertierten: Alfred Döblin, Heinrich Heine, Karl Jakob Hirsch, Franz Werfel.

Die Lebensgeschichten werden kurz, aber differenziert und lebendig zusammengefasst, eingeflochtene Zitate der Schriftsteller sind klug ausgewählt und lassen sie selbst zu Wort kommen.

Der Band macht Lust, die zahlreichen Literaturtipps aufzunehmen und weiterzulesen.

Rezension von Doris Michel-Schmidt

Matthias Hilbert:
Gottsucher. Dichter-Bekehrungen im 19. Und 20. Jahrhundert/Zwölf Dichterporträts
Steinmann Verlag 2020, 122 Seiten, 14,80 Euro

Die Kannenbäckerin

Die KannenbäckerinMit dem Roman von Annette Spratte taucht man ein in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges im Westerwald. Man lernt Johanna kennen, wie sie mit ihrem Vater aus ihrem kleinen Dorf in die nahe Stadt Hachenburg fährt. Auf der Ladefläche ihres Karrens liegen die in Stroh gepackten Leichen ihrer Mutter und der Geschwister. Alle in kurzer Zeit gestorben an der Pest.

Während Johanna in die Kirche rennt, um „Schluckbilder“ für ihren Vater zu kaufen – kleine Heiligenbildchen, die den Kranken, wenn nichts mehr half, zum Schlucken gegeben wurden –, stirbt der Vater mitten auf der Gasse. Nun ist das dreizehnjährige Mädchen ganz auf sich gestellt. Die Nachbarin verkleidet sie als Jungen, damit sie den Weg bis zu einem entfernten Onkel in diesen Kriegszeiten eher überlebt. Als Johanna dort ankommt, ist die Verwandtschaft wenig begeistert. Aber als Junge kann sie wenigstens mit anpacken, auf dem Feld, im Haus und sogar in der Töpferei des Onkels. Johanna traut sich nicht, ihre Tarnung aufzulösen. Sie lernt begeistert das Töpferhandwerk und gewinnt bald das Vertrauen ihres Onkels. Natürlich fliegt ihr Geheimnis auf, als sie älter wird, und es verstört die Menschen um sie herum. Sie wird sogar als Hexe angeklagt; der Hof ihres Onkels wird – wie das ganze Dorf – von marodierenden Soldaten überfallen; der Onkel stirbt.

Ja, eigentlich viel zu viel Leid für ein junges Mädchen. Aber Johanna zerbricht nicht daran. Sie ist gegen alle Widerstände zur versierten „Kannenbäckerin“ geworden. Und in all dem Leid findet sie tatsächlich nach und nach Halt und Trost im Glauben an Jesus Christus, der für sie ans Kreuz ging. Wo sie doch nach dem Tod ihres Vaters dem Pfarrer noch entgegengeschrien hatte, sie werde nie wieder beten.

Der Autorin Annette Spratte gelingt es grandios, die Figuren lebendig werden zu lassen. Die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, das Lokalkolorit des Westerwaldes (wo sie selbst lebt), die Technik der Töpferei hat sie intensiv recherchiert. Mit der „Kannenbäckerin“ ist ihr ein eindrucksvoller, spannender Roman gelungen. Großes und lehrreiches Lesevergnügen!

Rezension von Doris Michel-Schmidt

Annette Spratte:
Die Kannenbäckerin
Francke-Buch 2021, 399 Seiten, 14,95 Euro

Und wenn die Welt voll Teufel wär

Und wenn die Welt voll Teufel wärNachdem 2017 zum Reformationsgedenken Stapel von Luther-Büchern erschienen, könnte man meinen, es reiche für die nächsten Jahre. Jetzt noch eines? Ja, durchaus, wenn es so fundiert recherchiert, lebendig geschrieben und nah an der Person Luthers ist wie das von Klaus-Rüdiger Mai. Im Zentrum steht Luthers Auftritt vor dem Reichstag in Worms 1521, wo er eigentlich nur seine Lehren widerrufen soll. Man weiß, dass er das nicht getan hat. Wie es dazu kam und welche Konsequenzen das hatte, das zeichnet der Historiker Mai kenntnisreich nach. Er nimmt dabei ganz die Perspektive Luthers ein, sodass man dessen Empörung über die Ignoranz und die Zumutungen Roms nachvollzieht. Es wird deutlich, warum die Auseinandersetzungen, all die Disputationen und Briefwechsel mit den Vertretern der Kirche zu keiner Einigung führten.

Dem Autor gelingt es, die politischen Zusammenhänge so darzustellen, dass man sie versteht. Und darüber staunt, welche Wege die Geschichte nahm, welche personellen Konstellationen und welche „Zufälle“ Luther vor dem Scheiterhaufen bewahrten. Dass Luther selbst dabei immer wieder Angst und Zweifel hatte, angefochten war und unter körperlichen Beschwerden litt, ist gut dokumentiert. Klaus-Rüdiger Mai lässt einen das nachempfinden. Der Mut, den Luther in seinem festen Glauben fand, wird darum zum eindrücklichen Zeugnis.

Schwächen hat das Buch an den wenigen Stellen, wo der Autor sich über die Sakramentenlehre und das (angebliche) Amtsverständnis Luthers auslässt, wo er die „Geburtsstunde des Individiuums“ überhöht. Trotzdem: unbedingt lesenswert.

Rezension von Doris Michel-Schmidt

Klaus-Rüdiger Mai:
Und wenn die Welt voll Teufel wär – Martin Luther in Worms
Evangelische Verlagsanstalt 2020, 361 Seiten, 25,– Euro

Die Benedikt-Option

Die Benedikt-OptionGottesdienstgänger gehören schon seit Jahrzehnten zur Minderheit, die Kirchgliederzahlen nehmen ab, die gottesdienstliche Versammlung gehörte in der Corona-Krise nicht zu den „essenziellen Gütern“, Christen fühlen sich durch die Gender-Ideologie bedroht. Nicht umsonst stellt sich bei vielen Gläubigen der Eindruck ein, dass unsere Gesellschaft „nachchristlich“ ist.

Wie damit umgehen? Anpassung an den Zeitgeist? Verbissener politischer Aktivismus? Rückzug in die Innerlichkeit? Diesen Optionen stellt der US-Amerikaner Rod Dreher eine Alternative gegenüber. Er nennt sie „Benedikt-Option“. – 5. und 6. Jahrhundert: Kriege, Zerfall des Römischen Reiches, Auseinanderbrechen dessen, was man Zivilisation und Kultur nannte. – Dem setzt der Mönch Benedikt von Nursia einige Regeln gegenüber, die dazu verhelfen, dass kleine, aber fest verbundene Gemeinschaften das Chaos überdauern.

Viele der Empfehlungen, um die es geht, können erstaunlicherweise aufgenommen, adaptiert und auf das nichtklösterliche Leben heute übertragen werden. In Familie, in Gemeinde, in gemeinschaftlichem Leben von Christen. Das Buch ist nicht die Lösung der Probleme und gibt auch nicht vor, das zu sein. Aber für alle, die auf der Suche nach einem anregenden Ideengeber für unsere Zeiten sind, ist die Lektüre der Benedikt-Option eine sehr gute Wahl!

Rezension von Michael Wenz

Rod Dreher:
Die Benedikt-Option. Eine Strategie für Christen in einer nachchristlichen Gesellschaft
2017 auf Englisch erschienen („The Benedict Option“),
auf Deutsch: Fe-Medienverlag 2019, 12,95 Euro

Jesus

Jesus 300pxDas Leben und Wirken des Messias als Weltgeschichte. Von der Steinzeit bis ins digitale Zeitalter.“ Was der Verlag so mächtig ankündigt, ist wahrlich ein Mammutprojekt. 1000 Seiten umfasst das Buch von Markus Spieker, ein gewichtiger Wälzer, dem man sich fast demütig nähert. Die Sehnsucht, die auf Jesus zielt, habe ihn getrieben, schreibt der erfahrene Journalist und promovierte Historiker Spieker im Vorwort. Und merkt an, dass das Buch dann in seiner Entstehung immer weitergewachsen sei. Tatsächlich hat mich die enzyklopädische Fülle dieses Werks, die exorbitante Ansammlung von recherchierten Fakten, der ausladende Blickwinkel auf „die Weltgeschichte“ beim Lesen zunehmend ermüdet. Dieser Ritt durch die Jahrhunderte der Weltgeschichte, bei dem alle Aspekte, die am Wegesrand auftauchen, aufgegriffen und kurz oder lang exemplifiziert werden, hat mich irgendwann in der Tat abgeworfen. Dabei ist Spiekers Stil exzellent, er schreibt nicht für ein Fachpublikum, sondern weiß, wie ein Text lebendig gestaltet wird. Er kann biblische Geschichten so nacherzählen, dass ich sie in einem neuen Licht sehe. Er stellt historische Kontexte her, die das Schriftverständnis fördern. Vor der gigantischen Recherche-Leistung kann man sich nur verbeugen. Und dass Markus Spieker als überzeugter Christ schreibt, macht mir den Zugang zu seinem Buch leicht.

Und trotzdem kommt mir Jesus in dem Buch nicht nahe. Weil Spieker ihn als strategischen Planer zeichnet, der „einen Aufbruch anstoßen und eine Bewegung initiieren will, die lokal beginnt und global endet“. Deshalb habe sich Jesus intensiv dem „Teambuilding“ gewidmet. Ich stutze, wenn es da heißt, Jesus habe nie behauptet, er sei der Sohn Gottes. Es stört mich, dass Spieker zwar immer wieder von der Gnade, vom Geschenk des Glaubens spricht, aber ebenso häufig die eigene Glaubensentscheidung, die Lebensführung, das „Tun“ als wesentlich(er) für den Eintritt in den Himmel darstellt. Dabei gerät sein Stil gelegentlich ins floskelhafte Predigen. Wenn es um die Abendmahlslehre, um Taufe oder Rechtfertigung des Sünders durch Jesu Tod geht, werden die Widersprüche in Spiekers Schriftverständnis immer deutlicher. Besonders aber im dritten großen Teil, wo es um Kirchengeschichte geht, wird es richtig holprig. Dass er sich mit Luther nicht lange abgemüht hat, ist offensichtlich. Luther, so Spieker, sei ein „Rebell, Prediger, Lehrer“ gewesen, „aber kein systematischer Theologe“. Da war Calvin – für Spieker – schon „grundsätzlicher und im Ergebnis revolutionärer“. Man kann bei der Lektüre ganz gewiss sehr viel lernen. Gute, gesunde Theologie eher nicht.

Rezension von Doris Michel-Schmidt

Markus Spieker:
Jesus. Eine Weltgeschichte
Fontis-Verlag 2020, 1001 Seiten, 30,– Euro

Die infantile Gesellschaft

Die infantile Gesellschaft 300pxWir sind das Party-Volk“ stand auf einem Plakat, das eine junge Frau jüngst an einer Demo gegen die Corona-Maßnahmen hochhielt. Spaß haben, sich gut fühlen, das ist offensichtlich oberste Maxime, das Leben ein einziges Spielfeld, das man sich nicht verderben lassen will. Eine kindische Gesellschaft sind wir geworden, konstatiert Alexander Kissler. Kindisch, nicht kindlich. „Das Kindische ist Nicht-Kindern vorbehalten“, schreibt der Autor, „kindisch ist es, so zu tun, als wäre man, was man nicht mehr ist: Kind.“ Dass das nicht einfach nur ein wenig lächerlich wirkt, sondern bitterernste Folgen haben kann, macht er anhand vieler Beispiele aus Politik, Kultur, Wirtschaft und, ja, auch Kirchen, deutlich. E-Scooter, Emojis, leichte Sprache, „Kletterkirchen“ nimmt er lustvoll aufs Korn. Ein Kapitel widmet Kissler der Klima-Aktivistin Greta Thunberg, und er rückt dabei so manches verkehrte Bild gerade. Zum Beispiel das der schwärmerischen, ja geradezu religiösen Überhöhung des „kleinen Mädchens“, bei dem sogar Bischöfe sich zu biblischen Vergleichen verstiegen – wenn sie Greta an David erinnerte und die Freitagsdemos an den Einzug Jesu in Jerusalem.

„Es sind Erwachsene, die ihre Erlösungssehnsüchte auf die Schwedin projizieren“, schreibt Kissler. Nicht nur, dass diese damit heillos überfordert ist, die Erwachsenen werden ihrer Verantwortung damit eben gerade nicht gerecht. So zu tun, als ob die Gebote der zornigen Greta unsere Welt retten könnten, ist kindisch. Sie lassen sich jedenfalls nicht in demokratische Politik übersetzen, so der Autor. Wer auf Gretas Reden ergriffen reagiert, aber nicht nachfragt, nicht hinhört, was sie wirklich sagt und fordert (nämlich den sofortigen Totalumbau aller Gesellschaften), der verhindert jede Debatte. Und genau das ist das Problem der infantilen Gesellschaft, so Kissler. Der Ausweg? Erwachsen werden. Das letzte Kapitel trägt denn auch den Untertitel: Vom Glück der Souveränität.

Rezension von Doris Michel-Schmidt

Alexander Kissler:
Die infantile Gesellschaft - Wege aus der selbstverschuldeten Unreife
HarperCollins 2020, 255 Seiten, 20,– Euro

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